Friday, April 5, 2013

Praktiken, Ziele und Selbstbild der Open Knowledge Foundation

Update: Meine Arbeit ist inzwischen fertig und veröffentlicht. Die hier vorgestellten Ergebnisse waren vorläufig und sind nicht identisch mit der finalen Version!

Mit diesem Post will ich anfangen, Ergebnisse aus meiner empirischen Arbeit hier im Blog vorzustellen. Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich insgesamt acht Interviews mit Mitgliedern der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKF) geführt und diese (zusammen mit einzelnen Dokumenten wie der Open Definition) qualitativ nach dem Verfahren der Grounded Theory ausgewertet. Dabei werden zunächst die unterschiedlichen Aussagen in den gesammelten Daten auf ihren allgemeinen Kern reduziert, um daraus Konzepte und Kategorien zu bilden und deren Bedingungen und Konsequenzen sowie deren Beziehungen zueinander zu klären (Krotz 2005: 175). Dies bildet man dann in einem Kategoriensystem ab, das den Untersuchungsgegenstand möglichst genau beschreiben soll, indem es die abstrakteren Sinnstrukturen der Akteure offenlegt. Ergebnis ist letztlich eine sog. 'datennahe Theorie' - eine grounded theory also.
Konkret geht es in meiner Masterarbeit um das Verhältnis von Praktiken, Zielen und Selbstbild der OKF. Die vorläufigen Auswertungsergebnisse möchte ich im Folgenden vorstellen. Die dabei verwendeten Zitate stammen aus den Interviews, die ich mit den Mitgliedern geführt habe.

Das Verhältnis von Praktiken, Zielen und Selbstbild der OKF Deutschland

Was wäre eine Masterarbeit über die Open Data Bewegung ohne eine Datenvisualisierung? Mein aktuelles Kategoriensystem deshalb zunächst in Form einer Mindmap und anschließend Erläuterungen dazu:

Im Zentrum steht das übergreifende Ziel der OKF: Die Verbreitung eines bestimmten Offenheitsprinzips durch den Aufbau offener Infrastrukturen. Nach diesem Prinzip bedeutet Offenheit, dass keine technischen oder rechtlichen Einschränkungen die Schaffung, Nutzung, Weiterverarbeitung und Weiterverbreitung von Wissen durch jedermann für jegliche Zwecke behindern. Der Begriff 'Wissen' wird dabei als universeller Oberbegriff für alle Formen von Inhalten, Daten und Informationen verstanden.

Allgemein lassen sich eine Reihe von Praktiken zum Aufbau offener Infrastrukturen ausmachen, die wiederum dem Erreichen eines bestimmten Sets von Zielen dienen. Zu den Praktiken gehören:
  • Offenheit definieren: Die Bedeutung von Offenheit kann je nach Kontext variieren, weshalb eine genaue Definition benötigt wird. Die von der OKF erstellte Open Definition definiert das o.g. Offenheitsprinzip detailliert in Hinblick auf die technischen und rechtlichen Voraussetzungen von Offenheit. Hinzu kommen Richtlinien für die Bereitstellung von Wissen, wie sie insbesondere in Bezug auf Open Government Data entwickelt wurden. Hierzu gehören die zehn Prinzipien zum Öffnen von Regierungsinformationen der Sunlight Foundation und das Fünf-Sterne-Modell von Tim Berners-Lee (Dietrich 2011).
  • Offene Infrastrukturen implementieren: Meint im Grunde die Implementierung des definierten Offenheitsprinzips, also die Erstellung, Aufbereitung und Bereitstellung von Wissen in einer Form, die den definierten Kriterien entspricht. Das kann zum einen ganz offiziell durch Auftragsarbeiten für Behörden geschehen, ist aber eher die Ausnahme. Wichtiger ist der Aufbau unabhängiger, alternativer Infrastrukturen, die ohne offizielle Unterstützung durch Behörden entwickelt werden und die Vorteile offenen Wissens demonstrieren sollen, z.B. offenerhaushalt.de. Darüber hinaus werden vor allem auf internationaler Ebene auch technische Standards für die Implementierung offener Infrastrukturen entwickelt, z.B. die Datenverwaltungssoftware CKAN.
  • Offenes Wissen nutzbar machen: Meint das Entwickeln von Werkzeugen, die das bereitgestellte Wissen zugänglich und nutzbar machen, bspw. in Form von interaktiven Datenvisualisierungen und dem Bereitstellen von Kontextinformationen. Eine besondere Bedeutung nimmt in diesem Zusammenhang die Förderung von (Daten-)Intermediären ein: man möchte „den pool derer die sich trauen fünfhundert megabyte csv irgendwie reinzugucken […] erweitern“. Dafür will man einerseits die Entstehung neuer Intermediäre fördern, bspw. indem man eine Community aus 'Gesellschaftshackern' aufbaut (siehe unten); andererseits geht es vor allem darum, dass Journalismus stärker 'datengetrieben' und 'offen' sein soll – die OKF hat dafür engen Kontakt bspw. zu Datenjournalisten.
  • Lobbyarbeit/PR betreiben: Geschieht klassischerweise durch Kontaktpflege zu Behörden und dem Besuchen bzw. Veranstalten von Konferenzen. Hinzu kommt ein Unterstützernetzwerk, welches hilft, Botschaften innerhalb der im weitesten Sinne netzpolischen Szene in Deutschland zu verbreiten (bspw. auf netzpolitik.org).

Zu den Zielen, die an die Verbreitung offenen Wissens geknüpft werden, gehören:
  • Mehr Beteiligungsmöglichkeiten: Informationen, so die feste Grundüberzeugung der OKF-Mitglieder, sind die Grundlage für Beteiligung. Durch die Verbreitung offenen Wissens soll es BürgerInnen ermöglicht werden, sich einfacher in politische Entscheidungsprozesse einzubringen. Als grobes Vorbild scheint dabei die Entwicklung von Open-Source-Software zu dienen: Selbstselektive Beteiligung durch BürgerInnen, die von der Verwaltung koordiniert wird. Ein genaues Modell der Beteiligung definieren die Mitglieder jedoch nicht, stattdessen betonen sie, dass viel Experimentierfreudigkeit durch eine beteiligungsfördernde Verwaltung notwendig sein wird – statt um die klassische Forderung nach mehr direkter Demokratie geht es also eher um eine offenere und flexiblere Form repräsentativer Demokratie.
  • Sachlicherer Diskurs: Der öffentliche Diskurs soll durch die Verbreitung offenen Wissens stärker 'datenbasiert' ablaufen. Dadurch, dass alle Zugriff auf die Rohinformationen haben, werde „mehr interpretation von wahrheit“ möglich, wodurch es für Politiker schwieriger werde, ihre Meinungen nur mit den ihnen „genehmen fakten [zu] unterfüttern“. Offene Daten sollen ein „gegengewicht zu pr“ werden, indem Debatten „nicht einfach auf meinungen basieren sondern auf fakten“.
  • Bessere Selbstorganisation von BürgerInnen: Die Erstellung und Nutzbarmachung von Wissen soll Bürgern helfen, sich einfacher untereinander zu koordinieren und/oder ihre Interaktion mit Behörden vereinfachen. Dieser Aspekt spielt vor allem bei sog. Civic Apps eine Rolle, wie sie bspw. bei stadtlandcode gefördert werden: "angebote services von bürgern für bürger die letztlich kommunikation unter bürgern mit bürgern und mit verwaltung leichter machen". Ein Beispiel hierfür ist fragdenstaat.de.
  • Verbesserte Accountability: Öffentliche Verwaltung soll durch die Verbreitung offenen Wissens verantwortungsbewusster werden. Dabei geht es nicht nur um Transparenz im Sinne von Anti-Korruption, sondern darum, generell sein Handeln gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigen zu müssen, z.B. bei Vergabeverfahren.
  • Verbesserte Effizienz: Durch größere Transparenz sollen ineffiziente oder gar redundante Abläufe in Organisationen sichtbar werden, was öffentliche Verwaltung insgesamt effizienter machen soll.

Diese Praktiken und Ziele leiten den Aufbau von offenen Infrastrukturen an, der sich in unterschiedlichen, kleineren Projekten konkretisiert. Mit anderen Worten können Praktiken und Ziele wie eine Folie über die einzelnen Projekte der OKF gelegt werden, um zu sehen, wie diese sich darin konkretisieren. Die OKF Deutschland beschäftigt sich hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) mit Open Government Data, also offenen Regierungs- bzw. Behördendaten. Der Aufbau von offenen Infrastrukturen konkretisiert sich hierbei in Projekten, die sich entweder auf bestimmte Regierungsinformationen (z.B. offenerhaushalt.de) oder Regionen (z.B. frankfurt-gestalten.de) spezialisieren, oder übergreifende Ansätze verfolgen (wie offenedaten.de). Eine Analogie für das Vorgehen der OKF ist die modulare Entwicklung von Software, die auch bei Open-Source-Projekten sehr verbreitet ist: in kleinen Schritten werden unabhängige, spezialisierte Projekte entwickelt, die jedoch durch die Verwendung gemeinsamer technischer Standards und Lizenzen zueinander kompatibel bleiben und so ein größeres Ganzes bilden.

Je nach Projekt können die o.g. Praktiken und Ziele dabei auch moduliert und unterschiedlich gewichtet werden. In dem Projekt Open Aid, welches offene Infrastrukturen in der Entwicklungszusammenarbeit etablieren möchte, bedeutet 'mehr Beteiligung durch BürgerInnen' bspw. spezifischer die Möglichkeit für Menschen in den Empfängerländern (von Entwicklungshilfe), Feedback über Effektivität und Folgen von einzelnen Projekten vor Ort geben zu können und besser in die Planung von Entwicklungshilfe eingebunden zu werden. Beteiligung von BürgerInnen in den Geberländern wird hingegen skeptisch gesehen, da diese in der Regel nicht ausreichend mit der Situation in den Empfängerländern vertraut sind. Im Rahmen von Open Access oder Open Science spielt mehr Beteiligung durch BürgerInnen wiederum eine eher nachgelagerte Rolle – hier geht es stärker um Accountability im Wissenschaftsbetrieb.

Vor dem Hintergrund dieses modularen Ansatzes zur Etablierung offener Infrastrukturen definieren sich die Mitglieder der OKF nicht über das 'Reden', sondern „übers machen“. Sie betrachten sich selbst als Intermediäre für offenes Wissen und erkennen die praktische Herangehensweise in den einzelnen Projekten als herausragendes Merkmal der OKF an. Das Selbstbild der OKF-Mitglieder als 'Macher' umschreibe ich mit dem Begriff Gesellschaftshacker. Dabei handelt es sich um den Versuch der OKF Deutschland, den englischen Begriff 'civic developer' zu übersetzen. Er verdeutlicht, dass man einen „praktischen transparenzansatz“ verfolgt und sich dabei als unabhängiger Vertreter von Bürgerinteressen versteht, der die Etablierung von offenen Infrastrukturen durch Behörden oder Unternehmen gleichzeitig vorantreibt und kritisch begleitet. Den Ausdruck 'Hacker' verwende ich dabei in einem erweiterten Sinne insofern, als ich auch diejenigen Mitglieder darunter fasse, die nicht selbst programmieren (können). Auch diese wirken am Aufbau offener Infrastrukturen mit und teilen eine gemeinsame 'moral and technical order':
The phrase „moral and technical order“ signals both technology - principally software, hardware, networks, and protocols - and an imagination of the proper order of collective political and commercial action, that is, how economy and society should be ordered collectively (Kelty 2008: 28).
Diese 'social imaginary' (Taylor 2004) ist in das o.g. Offenheitsprinzip eingebettet. Die Verbreitung dieses Prinzips durch den modularen Aufbau von offenen Infrastrukturen kann deshalb auch als Etablierung einer bestimmten 'moral and technical order' interpretiert werden, die in kleinen Schritten durch die Entwicklung konkreter Projekte vorangetrieben wird.

Unsicherheiten und Feedback

Wie eingangs erwähnt, handelt es sich um vorläufige Ergebnisse. Zur Zeit bin ich inbesondere noch unsicher in Bezug auf den Begriff Gesellschaftshacker. Zum einen weil der Hackerbegriff natürlich recht vorbelastet ist, zum anderen bin ich nicht sicher, ob alle Mitglieder eine solche Bezeichnung annehmen würden. Über Feedback dazu oder generell zu den Beschreibungen hier würde ich mich deshalb freuen!

Literatur

Dietrich, Daniel (2011): Was sind offene Daten? In: BPB Dossier Open Data. http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/opendata/64055/was-sind-offene-daten [letzter Zugriff 26.03.2013].
Kelty, Christopher M. (2008): Two Bits. The Cultural Significance of Free Software. Durham: Duke University Press. Frei verfügbar unter http://twobits.net/read/ [letzter Zugriff 26.02.2013].
Krotz, Friedrich (2005): Neue Theorien entwickeln : eine Einführung in die Grounded Theory, die Heuristische Sozialforschung und die Ethnographie anhand von Beispielen aus der Kommunikationsforschung. Köln: von Halem.
Taylor, Charles (2004): Modern Social Imaginaries. Durham, N.C.: Duke University Press.

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