Thursday, November 21, 2013

Veröffentlichung der Masterarbeit und Ausblick

Nach langer Funkstille veröffentliche ich hiermit endlich meine Masterarbeit über die Open-Data-Bewegung:


Im Vergleich zum letzten Blogpost, auf dem ich bereits vorläufige Ergebnisse präsentiert habe, sind noch einmal einige Änderungen eingeflossen - und natürlich werden die einzelnen Aspekte in der Arbeit deutlich ausführlicher dargestellt.

Der Grund für meine lange Funkstille und die späte Veröffentlichung der Arbeit ist allerdings ein recht erfreulicher: Ich habe in der Zwischenzeit eine Stelle an der Universität Groningen in den Niederlanden bekommen und bleibe weiter an dem Thema dran. Aufbauend auf meiner Masterarbeit forsche ich nun zum Thema Offenheitsinitiativen und Journalismus. Diese Arbeit wird eine wichtige Grundlage für meine Forschung bilden, weshalb mir eine Veröffentlichung wichtig war. Da ich sehr positive Erfahrungen damit gemacht habe, werde ich wohl auch in Zukunft weiter über meine Forschung bloggen. An dieser Stelle auch noch einmal ein Dankeschön an die Mitglieder der Open Knowledge Foundation und an alle, die mir Feedback und Anregungen für die Arbeit gegeben haben!

Friday, April 5, 2013

Praktiken, Ziele und Selbstbild der Open Knowledge Foundation

Update: Meine Arbeit ist inzwischen fertig und veröffentlicht. Die hier vorgestellten Ergebnisse waren vorläufig und sind nicht identisch mit der finalen Version!

Mit diesem Post will ich anfangen, Ergebnisse aus meiner empirischen Arbeit hier im Blog vorzustellen. Im Rahmen meiner Masterarbeit habe ich insgesamt acht Interviews mit Mitgliedern der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKF) geführt und diese (zusammen mit einzelnen Dokumenten wie der Open Definition) qualitativ nach dem Verfahren der Grounded Theory ausgewertet. Dabei werden zunächst die unterschiedlichen Aussagen in den gesammelten Daten auf ihren allgemeinen Kern reduziert, um daraus Konzepte und Kategorien zu bilden und deren Bedingungen und Konsequenzen sowie deren Beziehungen zueinander zu klären (Krotz 2005: 175). Dies bildet man dann in einem Kategoriensystem ab, das den Untersuchungsgegenstand möglichst genau beschreiben soll, indem es die abstrakteren Sinnstrukturen der Akteure offenlegt. Ergebnis ist letztlich eine sog. 'datennahe Theorie' - eine grounded theory also.
Konkret geht es in meiner Masterarbeit um das Verhältnis von Praktiken, Zielen und Selbstbild der OKF. Die vorläufigen Auswertungsergebnisse möchte ich im Folgenden vorstellen. Die dabei verwendeten Zitate stammen aus den Interviews, die ich mit den Mitgliedern geführt habe.

Das Verhältnis von Praktiken, Zielen und Selbstbild der OKF Deutschland

Was wäre eine Masterarbeit über die Open Data Bewegung ohne eine Datenvisualisierung? Mein aktuelles Kategoriensystem deshalb zunächst in Form einer Mindmap und anschließend Erläuterungen dazu:

Im Zentrum steht das übergreifende Ziel der OKF: Die Verbreitung eines bestimmten Offenheitsprinzips durch den Aufbau offener Infrastrukturen. Nach diesem Prinzip bedeutet Offenheit, dass keine technischen oder rechtlichen Einschränkungen die Schaffung, Nutzung, Weiterverarbeitung und Weiterverbreitung von Wissen durch jedermann für jegliche Zwecke behindern. Der Begriff 'Wissen' wird dabei als universeller Oberbegriff für alle Formen von Inhalten, Daten und Informationen verstanden.

Allgemein lassen sich eine Reihe von Praktiken zum Aufbau offener Infrastrukturen ausmachen, die wiederum dem Erreichen eines bestimmten Sets von Zielen dienen. Zu den Praktiken gehören:
  • Offenheit definieren: Die Bedeutung von Offenheit kann je nach Kontext variieren, weshalb eine genaue Definition benötigt wird. Die von der OKF erstellte Open Definition definiert das o.g. Offenheitsprinzip detailliert in Hinblick auf die technischen und rechtlichen Voraussetzungen von Offenheit. Hinzu kommen Richtlinien für die Bereitstellung von Wissen, wie sie insbesondere in Bezug auf Open Government Data entwickelt wurden. Hierzu gehören die zehn Prinzipien zum Öffnen von Regierungsinformationen der Sunlight Foundation und das Fünf-Sterne-Modell von Tim Berners-Lee (Dietrich 2011).
  • Offene Infrastrukturen implementieren: Meint im Grunde die Implementierung des definierten Offenheitsprinzips, also die Erstellung, Aufbereitung und Bereitstellung von Wissen in einer Form, die den definierten Kriterien entspricht. Das kann zum einen ganz offiziell durch Auftragsarbeiten für Behörden geschehen, ist aber eher die Ausnahme. Wichtiger ist der Aufbau unabhängiger, alternativer Infrastrukturen, die ohne offizielle Unterstützung durch Behörden entwickelt werden und die Vorteile offenen Wissens demonstrieren sollen, z.B. offenerhaushalt.de. Darüber hinaus werden vor allem auf internationaler Ebene auch technische Standards für die Implementierung offener Infrastrukturen entwickelt, z.B. die Datenverwaltungssoftware CKAN.
  • Offenes Wissen nutzbar machen: Meint das Entwickeln von Werkzeugen, die das bereitgestellte Wissen zugänglich und nutzbar machen, bspw. in Form von interaktiven Datenvisualisierungen und dem Bereitstellen von Kontextinformationen. Eine besondere Bedeutung nimmt in diesem Zusammenhang die Förderung von (Daten-)Intermediären ein: man möchte „den pool derer die sich trauen fünfhundert megabyte csv irgendwie reinzugucken […] erweitern“. Dafür will man einerseits die Entstehung neuer Intermediäre fördern, bspw. indem man eine Community aus 'Gesellschaftshackern' aufbaut (siehe unten); andererseits geht es vor allem darum, dass Journalismus stärker 'datengetrieben' und 'offen' sein soll – die OKF hat dafür engen Kontakt bspw. zu Datenjournalisten.
  • Lobbyarbeit/PR betreiben: Geschieht klassischerweise durch Kontaktpflege zu Behörden und dem Besuchen bzw. Veranstalten von Konferenzen. Hinzu kommt ein Unterstützernetzwerk, welches hilft, Botschaften innerhalb der im weitesten Sinne netzpolischen Szene in Deutschland zu verbreiten (bspw. auf netzpolitik.org).

Zu den Zielen, die an die Verbreitung offenen Wissens geknüpft werden, gehören:
  • Mehr Beteiligungsmöglichkeiten: Informationen, so die feste Grundüberzeugung der OKF-Mitglieder, sind die Grundlage für Beteiligung. Durch die Verbreitung offenen Wissens soll es BürgerInnen ermöglicht werden, sich einfacher in politische Entscheidungsprozesse einzubringen. Als grobes Vorbild scheint dabei die Entwicklung von Open-Source-Software zu dienen: Selbstselektive Beteiligung durch BürgerInnen, die von der Verwaltung koordiniert wird. Ein genaues Modell der Beteiligung definieren die Mitglieder jedoch nicht, stattdessen betonen sie, dass viel Experimentierfreudigkeit durch eine beteiligungsfördernde Verwaltung notwendig sein wird – statt um die klassische Forderung nach mehr direkter Demokratie geht es also eher um eine offenere und flexiblere Form repräsentativer Demokratie.
  • Sachlicherer Diskurs: Der öffentliche Diskurs soll durch die Verbreitung offenen Wissens stärker 'datenbasiert' ablaufen. Dadurch, dass alle Zugriff auf die Rohinformationen haben, werde „mehr interpretation von wahrheit“ möglich, wodurch es für Politiker schwieriger werde, ihre Meinungen nur mit den ihnen „genehmen fakten [zu] unterfüttern“. Offene Daten sollen ein „gegengewicht zu pr“ werden, indem Debatten „nicht einfach auf meinungen basieren sondern auf fakten“.
  • Bessere Selbstorganisation von BürgerInnen: Die Erstellung und Nutzbarmachung von Wissen soll Bürgern helfen, sich einfacher untereinander zu koordinieren und/oder ihre Interaktion mit Behörden vereinfachen. Dieser Aspekt spielt vor allem bei sog. Civic Apps eine Rolle, wie sie bspw. bei stadtlandcode gefördert werden: "angebote services von bürgern für bürger die letztlich kommunikation unter bürgern mit bürgern und mit verwaltung leichter machen". Ein Beispiel hierfür ist fragdenstaat.de.
  • Verbesserte Accountability: Öffentliche Verwaltung soll durch die Verbreitung offenen Wissens verantwortungsbewusster werden. Dabei geht es nicht nur um Transparenz im Sinne von Anti-Korruption, sondern darum, generell sein Handeln gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigen zu müssen, z.B. bei Vergabeverfahren.
  • Verbesserte Effizienz: Durch größere Transparenz sollen ineffiziente oder gar redundante Abläufe in Organisationen sichtbar werden, was öffentliche Verwaltung insgesamt effizienter machen soll.

Diese Praktiken und Ziele leiten den Aufbau von offenen Infrastrukturen an, der sich in unterschiedlichen, kleineren Projekten konkretisiert. Mit anderen Worten können Praktiken und Ziele wie eine Folie über die einzelnen Projekte der OKF gelegt werden, um zu sehen, wie diese sich darin konkretisieren. Die OKF Deutschland beschäftigt sich hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) mit Open Government Data, also offenen Regierungs- bzw. Behördendaten. Der Aufbau von offenen Infrastrukturen konkretisiert sich hierbei in Projekten, die sich entweder auf bestimmte Regierungsinformationen (z.B. offenerhaushalt.de) oder Regionen (z.B. frankfurt-gestalten.de) spezialisieren, oder übergreifende Ansätze verfolgen (wie offenedaten.de). Eine Analogie für das Vorgehen der OKF ist die modulare Entwicklung von Software, die auch bei Open-Source-Projekten sehr verbreitet ist: in kleinen Schritten werden unabhängige, spezialisierte Projekte entwickelt, die jedoch durch die Verwendung gemeinsamer technischer Standards und Lizenzen zueinander kompatibel bleiben und so ein größeres Ganzes bilden.

Je nach Projekt können die o.g. Praktiken und Ziele dabei auch moduliert und unterschiedlich gewichtet werden. In dem Projekt Open Aid, welches offene Infrastrukturen in der Entwicklungszusammenarbeit etablieren möchte, bedeutet 'mehr Beteiligung durch BürgerInnen' bspw. spezifischer die Möglichkeit für Menschen in den Empfängerländern (von Entwicklungshilfe), Feedback über Effektivität und Folgen von einzelnen Projekten vor Ort geben zu können und besser in die Planung von Entwicklungshilfe eingebunden zu werden. Beteiligung von BürgerInnen in den Geberländern wird hingegen skeptisch gesehen, da diese in der Regel nicht ausreichend mit der Situation in den Empfängerländern vertraut sind. Im Rahmen von Open Access oder Open Science spielt mehr Beteiligung durch BürgerInnen wiederum eine eher nachgelagerte Rolle – hier geht es stärker um Accountability im Wissenschaftsbetrieb.

Vor dem Hintergrund dieses modularen Ansatzes zur Etablierung offener Infrastrukturen definieren sich die Mitglieder der OKF nicht über das 'Reden', sondern „übers machen“. Sie betrachten sich selbst als Intermediäre für offenes Wissen und erkennen die praktische Herangehensweise in den einzelnen Projekten als herausragendes Merkmal der OKF an. Das Selbstbild der OKF-Mitglieder als 'Macher' umschreibe ich mit dem Begriff Gesellschaftshacker. Dabei handelt es sich um den Versuch der OKF Deutschland, den englischen Begriff 'civic developer' zu übersetzen. Er verdeutlicht, dass man einen „praktischen transparenzansatz“ verfolgt und sich dabei als unabhängiger Vertreter von Bürgerinteressen versteht, der die Etablierung von offenen Infrastrukturen durch Behörden oder Unternehmen gleichzeitig vorantreibt und kritisch begleitet. Den Ausdruck 'Hacker' verwende ich dabei in einem erweiterten Sinne insofern, als ich auch diejenigen Mitglieder darunter fasse, die nicht selbst programmieren (können). Auch diese wirken am Aufbau offener Infrastrukturen mit und teilen eine gemeinsame 'moral and technical order':
The phrase „moral and technical order“ signals both technology - principally software, hardware, networks, and protocols - and an imagination of the proper order of collective political and commercial action, that is, how economy and society should be ordered collectively (Kelty 2008: 28).
Diese 'social imaginary' (Taylor 2004) ist in das o.g. Offenheitsprinzip eingebettet. Die Verbreitung dieses Prinzips durch den modularen Aufbau von offenen Infrastrukturen kann deshalb auch als Etablierung einer bestimmten 'moral and technical order' interpretiert werden, die in kleinen Schritten durch die Entwicklung konkreter Projekte vorangetrieben wird.

Unsicherheiten und Feedback

Wie eingangs erwähnt, handelt es sich um vorläufige Ergebnisse. Zur Zeit bin ich inbesondere noch unsicher in Bezug auf den Begriff Gesellschaftshacker. Zum einen weil der Hackerbegriff natürlich recht vorbelastet ist, zum anderen bin ich nicht sicher, ob alle Mitglieder eine solche Bezeichnung annehmen würden. Über Feedback dazu oder generell zu den Beschreibungen hier würde ich mich deshalb freuen!

Literatur

Dietrich, Daniel (2011): Was sind offene Daten? In: BPB Dossier Open Data. http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/opendata/64055/was-sind-offene-daten [letzter Zugriff 26.03.2013].
Kelty, Christopher M. (2008): Two Bits. The Cultural Significance of Free Software. Durham: Duke University Press. Frei verfügbar unter http://twobits.net/read/ [letzter Zugriff 26.02.2013].
Krotz, Friedrich (2005): Neue Theorien entwickeln : eine Einführung in die Grounded Theory, die Heuristische Sozialforschung und die Ethnographie anhand von Beispielen aus der Kommunikationsforschung. Köln: von Halem.
Taylor, Charles (2004): Modern Social Imaginaries. Durham, N.C.: Duke University Press.

Monday, March 18, 2013

Die Open Knowledge Movement?

In ihrem Blog hat die Open Knowledge Foundation vor Kurzem ein bemerkenswertes Projekt vorgestellt: The Open Book. Ein per crowdsourcing entstandenes Buch, welches "the global movement for open knowledge" vorstellt, und zwar "in the words of those who are helping to build it today". Dazu gehört auch eine 'Open Knowledge Timeline', welche ebenfalls per crowdsourcing entstanden ist und die historische Entwicklung offenen Wissens illustrieren soll.

Dieses Projekt zeigt zunächst, dass eine Open Knowledge Movement in den Augen der Beteiligten noch nicht existiert und deshalb aktiv aufgebaut werden muss (in dem Blogpost der OKF ist deshalb von einer "emergent movement" die Rede). Dieser Aufbau erfolgt auf zwei Ebenen:
  1. Zunächst soll ein größerer Zusammenhang zwischen unterschiedlichen, auf den ersten Blick nur lose zusammenhängenden Gruppen und Aktivitäten hergestellt werden. Free Software, Datenjournalismus, Open Hardware, Open Design, Open Data usw. werden als unterschiedliche Instanzen ein und derselben Bewegung präsentiert.
  2. Mit der Timeline wird darüber hinaus ein größerer Zusammenhang zwischen historisch teils weit auseinanderliegenden Ereignissen hergestellt - beginnend mit der ersten öffentlichen Bibliothek und der Gutenberg-Presse bis zum OKFestival von 2012. Die Auswahl der Ereignisse ist bemerkenswert insofern als sie dem Internet und Open-Source-Technologie eine überragende Bedeutung zukommen lässt - ein Großteil der Einträge bezieht sich auf Entwicklungen in diesen Bereichen.

Die damit konstruierte Open Knowledge Movement hat den Charakter einer Metabewegung, einer Bewegung von Bewegungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber gemeinsamen Zielen. In Analogie zur Entwicklung von Open-Source-Software könnte man auch von einem modularen Aufbau sprechen - voneinander relativ unabhängige Teilprojekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten bleiben zueinander kompatibel und bilden ein größeres Ganzes. Der Blogpost der OKF gibt bereits Hinweise darauf, was diese Metabewegung charakterisiert: 1. Offenheit wird als instrumenteller, nicht intrinsischer Wert betrachtet (Heald 2006); 2. wird Offenheit nicht über alle Instanzen hinweg einheitlich definiert; 3. haben alle Beteiligten vergleichbare Ziele: 'good governance', mehr Beteiligungsmöglichkeiten und eine Stärkung von Zivilgesellschaft.

Ergänzen kann man, dass es primär um eine strukturelle Offenheit zu gehen scheint - darauf deutet die herausgehobene Stellung von Internet und Open Source in der Open Knowledge Timeline hin. Es geht um die Etablierung von offenen Infrastrukturen, die in ihrem jeweiligen Spezialgebiet eine wie auch immer geartete Offenheit herstellen sollen.

Open Knowledge oder Access to Knowlege Movement?

Diese Beschreibung einer Open Knowledge Movement hat große Ähnlichkeit zur Access to Knowledge Bewegung, die ich in einem Gastbeitrag auf netzpolitik.org beschrieben habe. Handelt es sich nur um unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dasselbe Phänomen? Zumindest versuchen offensichtlich beide Ansätze, ein ähnliches Phänomen zu beschreiben. Konzepte wie die Open Knowledge und Access to Knowledge Movement zeigen damit, dass eine übergreifende 'Open Movement' weiter im Entstehen ist. Gut möglich, dass in den nächsten Jahren noch mehr solche Ansätze entstehen werden.

Thursday, February 28, 2013

Was sind 'Open Movements'?

In meinem Kommentar auf netzpolitik.org bin ich bereits der Frage nachgegangen, ob es eine große, übergreifende 'Open Movement' gibt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal genauer klären, was ich in einer Art Arbeitsdefinition unter Open Movements allgemein verstehe.

1. Open Movements als 'soziale Offenheitsinitiativen'

Zunächst übernehme ich von Ulrich Herb (2012a) den Begriff Offenheitsinitiativen. Diese neutrale Bezeichnung ist hilfreich, denn sie verdeutlicht, dass man es mit sehr unterschiedlichen Gruppierungen zu tun hat. Sie unterscheiden sich in ihrem Schwerpunkt, in der Art und dem Ausmaß von geforderter Offenheit und schließlich auch über das gesellschaftliche Spektrum, dem sie angehören. Offenheitsinitiativen können genauso von sozialen Bewegungen wie von politischen Parteien, Behörden, Unternehmen, NGOs usw. ausgehen. Als Open Movements betrachte ich deshalb nur solche Offenheitsinitiativen, die von sozialen Bewegungen ausgehen; Gruppierungen also, die subpolitisch sind, ein gemeinsames politisches Ziel verfolgen und eine kollektive Identität ausbilden. Beispielsweise gibt es zahlreiche Offenheitsinitiativen rund um Open Data, nur ein Teil davon wurde aber von solchen 'sozialen Offenheitsinitiativen' initiiert. Durch seine Neutralität erleichtert der Begriff eine solche Differenzierung.

2. Open Movements als Modulationen der FOSS-Bewegung

Der zweite Punkt bezieht sich spezifischer auf die 'Praktiken' von Open Movements, deren Wurzeln ich vor allem in der FOSS-Bewegung sehe. Vergleiche mit Free Software/Open Source (FOSS) sind für die Beschreibung von Offenheitsinitiativen oft naheliegend und werden entsprechend häufig herangezogen. Open Access als Open Source der Wissenschaft (Herb 2012b: 32), Wikipedia als Open Source Enzyklopädie oder (wie es mir gegenüber ein Mitglieder der Open Knowledge Foundation formulierte) Open Government Data als Open Source für Politik usw.

Der Anthropologe Christopher Kelty (2008) hat diese Vergleiche systematisiert. Seine Grundthese ist zunächst relativ einfach: Offenheitsinitiativen wie Creative Commons, Wikipedia, Open Access usw. übertragen bestimmte Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung auf neue Bereiche. Er unterscheidet fünf dieser Schlüsselpraktiken: sharing source code, conceiving open systems, writing copyright licenses, coordinating collaborations und schließlich die Formierung einer Bewegung. Da die Praktiken der FOSS-Bewegung den Ausgangspunkt bilden, betrachtet Kelty Offenheitsinitiativen als 'Modulationen' bestimmter Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung.

Keltys Modell erlaubt damit eine weitere Ausdifferenzierung von Offenheitsinitiativen: Welche Praktiken werden worauf übertragen? Inwiefern werden sie dabei moduliert? Eine Offenheitsinitiative kann alle Schlüsselpraktiken auf neue Bereiche übertragen und modulieren, oder nur bestimmte. Ulrich Herb (2012b) zeigt dies sehr anschaulich am Beispiel von Offenheitsinitiativen im Wissenschaftsbetrieb: 'Gratis Open Access' geht es z.B. lediglich um den entgeldfreien Zugang zu wissenschaftlichen Dokumenten und moduliert damit zwei Schlüsselpraktiken (conceiving open systems und writing copyright licenses); 'Open Access to scientific data' moduliert durch die Forderung nach der freien Verfügbarkeit von Forschungsdaten hingegen 'sharing source code'; einige Open Science Modelle gehen wiederum so weit, fast alle Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung auf den Wissenschaftsbereich zu übertragen - offen bleibt lediglich die Frage nach einer Bewegung (Herb 2012c).

'Neuere' soziale Bewegungen?

Open Movements sind damit von sozialen Bewegungen ausgehende Offenheitsinitiativen, die Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung auf neue Bereiche übertagen. Das Interessante an Keltys Konzept für die Frage nach der Entstehung von Open Movements ist vor allem, dass er die Bildung einer Bewegung als einen 'nachgeschalteten' Prozess betrachtet:
The "movement" - the ideological, critical, or promissory aspect - is just one component of Free Software and, indeed, the one that has come last, after the other practices were figured out and made legible, replicable, and modifiable (Kelty 2008: 302).
Kelty spielt hier auf die Notwendigkeit einer kollektiven Identität an, die die Beteiligten nach klassisch-soziologischer Definition erst in Bezug auf ihr Handeln entwickeln müssen, damit eine soziale Bewegung entsteht. Nur weil die Beteiligten einer Offenheitsinitiative nach formalen Kriterien eine Bewegung bilden könnten (bspw. weil sie subpolitisch sind), wäre es demnach voreilig, dies bereits mit dem Vorhandensein einer solchen Bewegung gleichzusetzen. So betrachtet kann man den inflationären Gebrauch des Bewegungsbegriffs in der Diskussion kritisieren.

Wie ich bei netzpolitik.org anhand der A2K-Bewegung beschrieben habe, stellt sich auf einer abstrakteren Metaebene jedoch auch die Frage, ob man es mit einer neuen Form von sozialen Bewegungen zu tun hat. Abschließend möchte ich deshalb Keltys Aussage, Anhänger der FOSS-Bewegung "share practices first, and ideologies second" (2008: 113), Castells Hinweis gegenüberstellen:
social movements must be understood in their own terms: namely, they are what they say they are. Their practices (and foremost their discursive practices) are their self-definition (Castells 2000: 69f., Herv. S.B.).

Literatur

Castells, Manuel (2000): The Information Age: Economy, Society and Culture Volume II. The Power of Identity. Cambridge: Blackwell.
Herb, Ulrich (2012a): Open Initiatives: Offenheit in der digitalen Welt und Wissenschaft. http://universaar.uni-saarland.de/monographien/volltexte/2012/87/ [letzter Zugriff 26.02.2013].
Herb, Ulrich (2012b): Offenheit und wissenschaftliche Werke: Open Access, Open Review, Open Metrics, Open Science & Open Knowledge. In: Herb, Ulrich (Hrsg.): Open Initiatives: Offenheit in der digitalen Welt und Wissenschaft, S. 11-44. http://universaar.uni-saarland.de/monographien/volltexte/2012/87/ [letzter Zugriff 26.02.2013].
Herb, Ulrich (2012c): Open Movement? http://www.scinoptica.com/pages/topics/open-movement.php [letzter Zugriff 28.02.2013].
Kelty, Christopher M. (2008): Two Bits. The Cultural Significance of Free Software. Durham: Duke University Press. Frei verfügbar unter http://twobits.net/read/ [letzter Zugriff 26.02.2013].

Friday, February 22, 2013

Open Data...Community, Aktivisten oder Bewegung?

Dieser Artikel steht unter der CC-BY-Lizenz.


In der Diskussion rund um das neue Datenportal govdata.de geht es vordergründig um dessen mangelhafte Umsetzung. Ein Nebenschauplatz scheint dabei aber auch die Schwierigkeit zu sein, sich als Gruppe von Open Data Anhängern selbst zu definieren. Abwechselnd bezeichnet man sich mal als Community, mal als Aktivisten und mal als Bewegung. Was unterscheidet diese Begriffe voneinander? Und noch wichtiger: Was sagt diese Unsicherheit über das Selbstbild der Beteiligten aus?

Community vs. Aktivsten vs. Bewegung

In einer gemeinsamen Erklärung bezeichnet man sich selbst als Open Data Community. Community bzw. Gemeinschaft ist in der Soziologie der allgemeine Oberbegriff für alle Formen der Vergemeinschaftung. Damit sind schlicht Gruppen von Menschen gemeint, die sich subjektiv einander zugehörig fühlen (Hepp 2011: 97). Star-Wars-Fanclubs, Diasporas, religiöse Sekten usw. sind genauso Communities wie soziale Bewegungen. Bezeichnet man sich selbst als Community, macht man also lediglich deutlich, dass man irgendwie zusammengehört. Die gemeinsame Erklärung zu govdata.de macht aber mehr als das, sie ist der Ausdruck eines gemeinsamen (politischen) Anliegens und kann dadurch Identität und Zusammenhalt stiften.

So gesehen ist es wohl passender, dass man sich an anderer Stelle als Open Data Aktivisten bezeichnet. Ein Aktivist setzt sich aktiv für die Durchsetzung bestimmter politischer Ziele ein. Eine Community aus Aktivisten wäre damit eine politische Vergemeinschaftung (Hepp 2011: 107). Deren Mitglieder fühlen sich konkreter aufgrund gemeinsamer politischer Ziele sowie gemeinsamer Aktionen zu deren Durchsetzung einander zugehörig.

Wie kann nun eine solche politische Vergemeinschaftung soziologisch korrekt von einer sozialen Bewegung unterschieden werden? Oft fällt die Unterscheidung schwer, da die Übergänge fließend sind. Jede soziale Bewegung ist eine politische Vergemeinschaftung, umgekehrt muss das aber nicht unbedingt der Fall sein. Die nach wie vor gängige Definition von sozialen Bewegungen stammt von Rucht (1994: 76f.):
Eine soziale Bewegung ist ein auf gewisse Dauer gestelltes und durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen, welche sozialen Wandel mit den Mitteln des Protests [...] herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollen.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist damit die Dauer - handelt es sich um 'spontane' oder nur kurzfristige Zweckgemeinschaften, oder um darüber hinausgehende Netzwerke, die über längere Zeiträume aufrecht erhalten werden und deren Beteiligte eine kollektive Identität bilden? Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal: Soziale Bewegungen werden klassischerweise als subpolitisch definiert - also als Gruppen, die außerhalb von politischen Institutionen und profitorientierten Unternehmen agieren.

Ein Blick auf die Liste der Erstunterzeichner aus der 'Community' vermittelt nicht gerade den Eindruck einer kurzfristigen Zweckgemeinschaft: Vertreter der Open Knowledge Foundation Deutschland, Wikimedia Deutschland, Digitale Gesellschaft, Chaos Computer Club und andere. Alles anerkannte NGOs, die sich seit Jahren netzpolitisch engagieren. Man könnte daher durchaus argumentieren, dass zumindest die Netzwerke aus NGOs und einzelnen Aktivisten, die sich schwerpunktmäßig mit Open Data beschäftigen, als Open Data Bewegung bezeichnet werden können. Sehr auffällig ist aber, dass der Begriff  in der aktuellen Diskussion gemieden wird. Stattdessen bezeichnet man sich abwechselnd (scheinbar austauschbar) mal als Community, mal als Aktivisten. Diese Beobachtung ist keineswegs trivial und unwichtig - das Selbstbild der Beteiligten ist im Gegenteil sogar essentiell für die Bildung einer sozialen Bewegung mit kollektiver Identität.

Die 'Open Data Bewegung' - ein Unwort?

Der Grund für diese Verunsicherung dürfte nach wie vor Tom Slees vernichtende Kritik sein, in der er die 'Open Data Bewegung' als Witz bezeichnete und ihr den Status einer sozialen Bewegung absprach. Der Artikel löste auch im deutschsprachigen Raum eine Diskussion aus, die viele Open Data 'Aktivisten' in die Defensive brachte. Seitdem ist der Ausdruck 'Open Data Bewegung' negativ konnotiert. Meiner Meinung nach zu unrecht.

Schaut man sich Slees Kritik genauer an, ging es ihm vor allem um zwei Punkte: der Begriff schloss erstens Gruppen ein, die nicht dazugezählt werden sollten (Behörden, Unternehmen); zweitens würden sich Open Data Aktivisten nicht klar von Behörden und Unternehmen abgrenzen und so zu Steigbügelhaltern einer neoliberalen Agenda instrumentalisieren lassen. Interessanterweise können beide Punkte als Ausdruck mangelnder kollektiver Identität interpretiert werden: Man nimmt sich nicht als eigenständige Gruppierung wahr und hat daher Probleme, sich klar abzugrenzen.

Die gemeinsame Erklärung zeigt, dass sich dies nicht (mehr) der Fall ist. Man nimmt sich als eigenständige Instanz wahr und lässt sich auch nicht instrumentalisieren. Die von Slee angestoßene Diskussion scheint einerseits zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben. Andererseits scheint die negative Konnotierung des Begriffes 'Open Data Bewegung' die Aktivisten ihrer Sprache zu berauben. Warum ist das ein Problem?

Ohne entsprechende Vorstellung keine Gemeinschaft

In der aktuellen Diskussion rund um die Open Data Bewegung geht es nach wie vor um die Frage, ob es sie denn jetzt gibt, oder nicht. Dahinter scheint implizit die Annahme zu stehen, dass eine Open Data Bewegung nur dann existiert, wenn sie faktisch bzw. 'objektiv' greifbar wird, bspw. indem Soziologen mit einer Liste formaler Definitionskriterien losziehen und einen Faktencheck machen. Die Ironie daran: Eine soziale Bewegung wird erst dann Wirklichkeit, wenn die Beteiligten 1. auch daran glauben, dass sie existiert und sie sich 2. selbst als Teil dieser Bewegung wahrnehmen.

In der Soziologie bzw. Kommunikationswissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von einer 'vorgestellten Gemeinschaft' (Hepp 2011: 99f.). Die Idee dahinter ist, dass jede Gemeinschaft, die nicht direkt lokal erfahrbar ist (wie bspw. Dorfgemeinschaften), vorgestellt werden muss und damit auch als geteilte Vorstellung der Beteiligten beschrieben werden kann. Das gilt genauso für soziale Bewegungen wie bspw. für Fanclubs, Religionsgemeinschaften oder auch Nationen. Vorgestellte Gemeinschaften sind auf sich selbst rückbezogen, d.h., erst indem die Beteiligten sich selbst als Gemeinschaft wahrnehmen und entsprechend aufeinander bezogen handeln, lassen sie diese Gemeinschaft Wirklichkeit werden. Ein historisches Beispiel: Die Vorstellung eines deutschen Nationalstaates hat im 19. Jahrhundert wesentlich dazu beigetragen, dass dieser Realität wurde.

Der springende Punkt ist, dass die Vorstellungen der Beteiligten und die 'objektive' Wirklichkeit nicht voneinander getrennt werden können. Wie Charles Taylor (2004: 32) schreibt:
Because human practices are the kind of thing that makes sense, certain ideas are internal to them; one cannot distinguish the two in order to ask the question Which causes which?

Fazit

Wie Lorenz Matzat schreibt, diente die Diskussion rund um govdata.de der Auffrischung einer alten Erkenntnis: Es gibt unterschiedliche Interessen an Open Data und Open Government. Diese Auffrischung vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erklärung kann auch als Möglichkeit für die 'Community' gesehen werden, sich noch deutlicher von anderen Gruppierungen abzugrenzen. Ohne klare Abgrenzung ist die Gefahr größer, instrumentalisiert zu werden. Wenn die Community den Begriff 'Open Data Bewegung' tabuisiert, steht sie sich meiner Meinung nach dabei selbst im Weg.

Literatur

Hepp, Andreas (2011): Medienkultur. Die Kultur mediatisierter Welten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Rucht, Dieter (1994): Modernisierung und neue soziale Bewegungen. Deutschland, Frankreich und USA im Vergleich. Frankfurt a. M.: Campus Verlag.
Taylor, Charles (2004): Modern Social Imaginaries. Durham, N.C.: Duke University Press.

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