Thursday, February 28, 2013

Was sind 'Open Movements'?

In meinem Kommentar auf netzpolitik.org bin ich bereits der Frage nachgegangen, ob es eine große, übergreifende 'Open Movement' gibt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal genauer klären, was ich in einer Art Arbeitsdefinition unter Open Movements allgemein verstehe.

1. Open Movements als 'soziale Offenheitsinitiativen'

Zunächst übernehme ich von Ulrich Herb (2012a) den Begriff Offenheitsinitiativen. Diese neutrale Bezeichnung ist hilfreich, denn sie verdeutlicht, dass man es mit sehr unterschiedlichen Gruppierungen zu tun hat. Sie unterscheiden sich in ihrem Schwerpunkt, in der Art und dem Ausmaß von geforderter Offenheit und schließlich auch über das gesellschaftliche Spektrum, dem sie angehören. Offenheitsinitiativen können genauso von sozialen Bewegungen wie von politischen Parteien, Behörden, Unternehmen, NGOs usw. ausgehen. Als Open Movements betrachte ich deshalb nur solche Offenheitsinitiativen, die von sozialen Bewegungen ausgehen; Gruppierungen also, die subpolitisch sind, ein gemeinsames politisches Ziel verfolgen und eine kollektive Identität ausbilden. Beispielsweise gibt es zahlreiche Offenheitsinitiativen rund um Open Data, nur ein Teil davon wurde aber von solchen 'sozialen Offenheitsinitiativen' initiiert. Durch seine Neutralität erleichtert der Begriff eine solche Differenzierung.

2. Open Movements als Modulationen der FOSS-Bewegung

Der zweite Punkt bezieht sich spezifischer auf die 'Praktiken' von Open Movements, deren Wurzeln ich vor allem in der FOSS-Bewegung sehe. Vergleiche mit Free Software/Open Source (FOSS) sind für die Beschreibung von Offenheitsinitiativen oft naheliegend und werden entsprechend häufig herangezogen. Open Access als Open Source der Wissenschaft (Herb 2012b: 32), Wikipedia als Open Source Enzyklopädie oder (wie es mir gegenüber ein Mitglieder der Open Knowledge Foundation formulierte) Open Government Data als Open Source für Politik usw.

Der Anthropologe Christopher Kelty (2008) hat diese Vergleiche systematisiert. Seine Grundthese ist zunächst relativ einfach: Offenheitsinitiativen wie Creative Commons, Wikipedia, Open Access usw. übertragen bestimmte Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung auf neue Bereiche. Er unterscheidet fünf dieser Schlüsselpraktiken: sharing source code, conceiving open systems, writing copyright licenses, coordinating collaborations und schließlich die Formierung einer Bewegung. Da die Praktiken der FOSS-Bewegung den Ausgangspunkt bilden, betrachtet Kelty Offenheitsinitiativen als 'Modulationen' bestimmter Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung.

Keltys Modell erlaubt damit eine weitere Ausdifferenzierung von Offenheitsinitiativen: Welche Praktiken werden worauf übertragen? Inwiefern werden sie dabei moduliert? Eine Offenheitsinitiative kann alle Schlüsselpraktiken auf neue Bereiche übertragen und modulieren, oder nur bestimmte. Ulrich Herb (2012b) zeigt dies sehr anschaulich am Beispiel von Offenheitsinitiativen im Wissenschaftsbetrieb: 'Gratis Open Access' geht es z.B. lediglich um den entgeldfreien Zugang zu wissenschaftlichen Dokumenten und moduliert damit zwei Schlüsselpraktiken (conceiving open systems und writing copyright licenses); 'Open Access to scientific data' moduliert durch die Forderung nach der freien Verfügbarkeit von Forschungsdaten hingegen 'sharing source code'; einige Open Science Modelle gehen wiederum so weit, fast alle Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung auf den Wissenschaftsbereich zu übertragen - offen bleibt lediglich die Frage nach einer Bewegung (Herb 2012c).

'Neuere' soziale Bewegungen?

Open Movements sind damit von sozialen Bewegungen ausgehende Offenheitsinitiativen, die Schlüsselpraktiken der FOSS-Bewegung auf neue Bereiche übertagen. Das Interessante an Keltys Konzept für die Frage nach der Entstehung von Open Movements ist vor allem, dass er die Bildung einer Bewegung als einen 'nachgeschalteten' Prozess betrachtet:
The "movement" - the ideological, critical, or promissory aspect - is just one component of Free Software and, indeed, the one that has come last, after the other practices were figured out and made legible, replicable, and modifiable (Kelty 2008: 302).
Kelty spielt hier auf die Notwendigkeit einer kollektiven Identität an, die die Beteiligten nach klassisch-soziologischer Definition erst in Bezug auf ihr Handeln entwickeln müssen, damit eine soziale Bewegung entsteht. Nur weil die Beteiligten einer Offenheitsinitiative nach formalen Kriterien eine Bewegung bilden könnten (bspw. weil sie subpolitisch sind), wäre es demnach voreilig, dies bereits mit dem Vorhandensein einer solchen Bewegung gleichzusetzen. So betrachtet kann man den inflationären Gebrauch des Bewegungsbegriffs in der Diskussion kritisieren.

Wie ich bei netzpolitik.org anhand der A2K-Bewegung beschrieben habe, stellt sich auf einer abstrakteren Metaebene jedoch auch die Frage, ob man es mit einer neuen Form von sozialen Bewegungen zu tun hat. Abschließend möchte ich deshalb Keltys Aussage, Anhänger der FOSS-Bewegung "share practices first, and ideologies second" (2008: 113), Castells Hinweis gegenüberstellen:
social movements must be understood in their own terms: namely, they are what they say they are. Their practices (and foremost their discursive practices) are their self-definition (Castells 2000: 69f., Herv. S.B.).

Literatur

Castells, Manuel (2000): The Information Age: Economy, Society and Culture Volume II. The Power of Identity. Cambridge: Blackwell.
Herb, Ulrich (2012a): Open Initiatives: Offenheit in der digitalen Welt und Wissenschaft. http://universaar.uni-saarland.de/monographien/volltexte/2012/87/ [letzter Zugriff 26.02.2013].
Herb, Ulrich (2012b): Offenheit und wissenschaftliche Werke: Open Access, Open Review, Open Metrics, Open Science & Open Knowledge. In: Herb, Ulrich (Hrsg.): Open Initiatives: Offenheit in der digitalen Welt und Wissenschaft, S. 11-44. http://universaar.uni-saarland.de/monographien/volltexte/2012/87/ [letzter Zugriff 26.02.2013].
Herb, Ulrich (2012c): Open Movement? http://www.scinoptica.com/pages/topics/open-movement.php [letzter Zugriff 28.02.2013].
Kelty, Christopher M. (2008): Two Bits. The Cultural Significance of Free Software. Durham: Duke University Press. Frei verfügbar unter http://twobits.net/read/ [letzter Zugriff 26.02.2013].

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